360°BNE - Immersive 360° Videos als transformatives Unterrichtsmaterial für Nachhaltige Entwicklung

Im drittmittelgeförderten Projekt „360°BNE“ werden immersive Lernumgebungen in der virtuellen Realität (VR) für schulische Bildungsprozesse entwickelt und in der Praxis erprobt. Hierzu werden 360°-Lernszenarios eingesetzt, in denen sich Lernende mittels VR-Brillen frei bewegen können.

Die Lernszenarios behandeln dabei jeweils ein für den Biologieunterricht relevantes Thema, welches in Bezug zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung stehen (engl. „Sustainable Development Goals“). Geplant ist ein Lernszenario zur Rückkehr des Wolfes, eines zum Klimawandel und eines zur nachhaltigen Landwirtschaft. Aktuell befinden sich die Lernszenarios in der Planung und Entwicklung, siehe Projektstrukturplan.

„BNE steht für Bildung für nachhaltige Entwicklung. Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft, würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können.“
Webportal: BNE – Bildung für nachhaltige Entwicklung

Lernszenarien zu 360°BNE

Virtuelle Realität ermöglicht die Interaktion und Darstellung immersiver Medien, wobei auf dem Bild eine Oculus Quest verwendet wird.

Wir haben hier alles Wissenswerte gebündelt:

  • Informationen zu projektbezogenen Themen
  • spezielle Informationen zu den Lernszenarien
  • Informationen zu didaktischen Grundlagen für Lehrerinnen und Lehrer
  • Forschungsfragen
  • Literaturangaben
  • Was bedeutet „immersiv“?

    Immersion beschreibt den Grad an technischen Ausstattungen, die ein Gerät bietet, um dem Nutzenden ein Gefühl von Realität zu vermitteln. Hierfür ist vor allem das genaue Tracking der Bewegungen in der virtuellen Umgebung wichtig.

    Wenn Menschen sich in Umgebungen mit einem hohen Maß an Immersion bewegen, kann das Gefühl der Präsenz eintreten. Präsenz beschreibt das Gefühl, sich wirklich in einer bestimmten Umgebung zu befinden. Die Lernszenarios zielen also auf ein hohes Maß an Immersion ab, damit Lernende den Eindruck bekommen wirklich vor Ort zu sein.

  • Warum werden VR-Brillen verwendet?

    VR-Brillen (engl. „head-mounted displays“) bieten einen sehr hohen Grad an Immersion, weshalb diese das Gefühl von Präsenz steigern können. Im Projekt werden VR-Brillen des Typs Oculus Quest verwendet. Diese VR-Brillen bieten sechs Freiheitsgrade (engl. „degrees of freedom“), das heißt die Position des Kopfes wird in sechs Dimensionen bestimmt, was Übelkeitsgefühlen entgegenwirken kann, die mit günstigen VR-Brillen eintreten können.

    VR-Brillen sollen und können reale Erlebnisse nicht ersetzen. Doch gibt es Erlebnisse, die aufgrund der Kosten oder Gefährlichkeit nicht in der Schule geschaffen werden können. Genau hierfür eignen sich VR-Brillen, um Lernenden Erfahrungen zugänglich zu machen, die sich positiv auf das Lernen auswirken. Mehr Informationen in Bezug auf den Schuleinsatz sind auf der Seite Informationen für Lehrerinnen und Lehrer zu finden.

  • Was hat das Projekt mit nachhaltiger Entwicklung zu tun?

    Nachhaltige Entwicklung beschreibt eine Entwicklung, die es erlaubt die langfristige Existenz der Menschheit unter Beachtung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen und Einhaltung der planetaren Grenzen zu ermöglichen. Während die konkrete Umsetzung einer solchen Entwicklung in den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung formuliert ist, beschreibt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) eine Bildung, die dieser Entwicklung förderlich wirkt.

    Häufig wird BNE hauptsächlich kognitiv, also in Bezug auf Faktenwissen betrieben. Eine andere Möglichkeit stellen Naturerfahrungen dar, die ebenfalls emotionale Zugänge zu den Inhalten erlauben. Erlebnisse in der VR können dabei einfache Formen von Naturerfahrungen sein, weshalb die im Projekt entwickelten Lernszenarien eine ganzheitlichere Bildung ermöglichen sollen.

  • Was bedeutet „transformativ“?

    Transformation kann auf verschiedenen Ebenen verstanden werden. So braucht es aufgrund der Dringlichkeit einiger Umweltprobleme wie dem Klimawandel eine Transformation auf (1) gesellschaftlicher Ebene. Doch wird diese Transformation nur gelingen, wenn auch die darunterliegenden Ebenen, also die (2) gesellschaftlichen Gruppen aber auch die (3) Individuen eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung erleben.

    Die immersiven Lernszenarien erlauben dabei eine Transformation des Individuums, da ausgehend von einem Dilemma die Reflexion und Erprobung eigener und fremder Standpunkte gefördert wird. Da zudem auch emotionale Aspekte angesprochen werden, zielt das Projekt auf eine ganzheitliche Transformation des Individuums. Dabei sind wir uns der normativen Dimension einer solchen Transformation bewusst, weshalb wir Lernen als nachhaltige Entwicklung verstehen, bei der Individuen für emanzipiertes Handeln für nachhaltige Entwicklung vorbereitet werden sollen. Weitere Informationen hierzu sind auf der Seite mit Informationen für Forschende zu finden.

Projektstrukturplan

Ablauf des Projekts

Das Projekt ist in drei Projektphasen („Arbeitspakete“) aufgeteilt. Während im ersten Jahr die Entwicklung der Umgebungen im Vordergrund steht, werden diese im zweiten Jahr erprobt und im dritten Jahr auf geeigneten Kanälen verbreitet.

  • Arbeitspakete (AP1–AP3) und Meilensteine (M1–M9)
  • geplanter Projektverlauf vom 01.10.2020 bis zum 30.09.2023

Aktuell finden erste Planungen zur Umsetzung der Lernumgebungen statt. Hierzu werden zuerst Storyboards erstellt, auf deren Grundlage im nächsten Schritt 360°-Videos erstellt werden, welche im letzten Schritt mit dem Computerprogramm Unity verbunden werden. Die so entstandenen Lernumgebungen sollen dann in der Schule getestet werden (wahrscheinlich ab 2022).

AP1: Entwicklung (01.01.2021–31.12.2021)

  • M1: Inhaltliche Planung
  • M2: Drehen von Material und technische Umsetzung
  • M3: Erstellung und Pilotierung von Erhebungsinstrumenten

AP2: Erprobung (01.01.2022–31.12.2022)

  • M4: Rekrutierung von Schulklassen
  • M5: Durchführung der Datenerhebung
  • M6: Datenauswertung

AP3: Verbreitung (01.01.2023–31.12.2023)

  • M7: Veröffentlichung der Szenarien als Open Education Resource
  • M8: Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften
  • M9: Projektabschluss

Immersive Lernszenarien: projektbezogene Themen und biologische Fachinhalte

Wir stellen Ihnen drei Themen mit biologischem Fachbezug immersiver Lernszenarien vor: Zu den biologischen Fachinhalten der Themen finden sich kurze inhaltliche Beschreibungen. Unten folgt eine Übersicht, wie die Lernszenarien entwickelt und umgesetzt werden. Alle Literaturangaben sind unter Literatur zu finden.

  • Die Rückkehr des Wolfes

    Nachdem Wölfe (canis lupus lupus) im 19. Jahrhundert ausgerottet wurden, haben sich ausgehend von Ostdeutschland seit 2000 wieder Wolfsrudel durch natürliche Ausbreitung in Deutschland angesiedelt (Ansorge, Holzapfel, Kluth, Reinhardt, & Wagner, 2010). Während dies ein Erfolg für den Naturschutz darstellt, da Wölfe wichtige Funktionen in Ökosystemen übernehmen (Tanner et al., 2019), gehen mit der Rückkehr der Wildtiere einige negative Folgen einher. So sind beispielsweise Schafhaltende von Nutztierrissen betroffen, selbst wenn gesetzliche Schutzmaßnahmen eingehalten werden (Büssing, Jannink, Scholz, & Halbe, 2019).

    Da Wölfe die Biodiversität in einem bestimmten Habitat erhöhen können (Ripple & Beschta, 2012), kann dieser konkrete Kontext genutzt werden, damit Lernende das abstrakte Konzept der Biodiversität besser verstehen können, wobei anhand der negativen Folgen Wertekonflikte in Bildungsangeboten explizit gemacht werden können (Hermann & Menzel, 2013).

  • Klimawandel

    Der Klimawandel beschreibt generell die die stete Erwärmung der Erdatmosphäre, die durch anthropogen verursachte CO2-Ausstöße verstärkt wird (Intergovernmental Panel on Climate Change, 2014; Steffen et al., 2015). Während ein großer wissenschaftlicher Konsens über die Wirkweisen des Klimawandels und dem menschlichen Beitrag zu diesem bestehen (Cook et al., 2016), formiert sich ausgehend von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Widerstand gegen die beabsichtigten Maßnahmen zum Schutze des Weltklimas.

    Da die fortschreitende Erwärmung das Funktionieren verschiedener ineinander verschränkter Funktionen der Biosphäre bedroht (engl. „tipping points“; Lenton et al., 2019), ist der Klimawandel eine der wichtigsten gesellschaftlichen globalen Herausforderungen. Da dennoch in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nötige Einstellungen und Wissen zur Bewältigung dieser Krise fehlen (Büssing et al., in Vorbereitung), sind Bildungsbestrebungen von zentraler Bedeutung um der Herausforderung zu begegnen.

  • Nachhaltige Landwirtschaft

    Durch die stete Zunahme der Weltbevölkerung steht die Weltgemeinschaft vor großen Problemen: Bereits jetzt verbraucht die Menschheit mehr Ressourcen, als die Erde bereitstellen kann (Wackernagel et al., 2002), was durch die immer größer werdende Weltgemeinschaft noch verstärkt wird. Hieraus ergeben sich verschiedene Konsequenzen, die insbesondere auch die Art und Weise betreffen, wie Nahrungsmittel bereitgestellt werden (Kremer et al., 2018). Während verschiedene Lösungen wie beispielsweise das Nutzen alternativer Proteinquellen wie Insekten diskutiert werden (Fiebelkorn, 2017), stehen neben der Nahrungsmittelsicherheit auch die Wahrung der ökologischen Grenzen der Erde im Mittelpunkt der Betrachtung. Hierbei sind vor allem die Artenvielfalt und der Stickstoffkreislauf Themen, die die Landwirtschaft direkt betreffen (Steffen et al., 2016).

    In diesem Überschnittsbereich steht die Gesellschaft und die Landwirtschaft vor einer großen Transformation. Diese kann nur dann gelingen kann, wenn alle Akteure einbezogen werden, wie es auch im Ziel 17 der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung beschrieben ist. Bei der Vermittlung von Grundlagenwissen und Handlungsbereitschaften spielt biologische Bildung eine zentrale Rolle (Bauer et al, 2018).

Entwicklung der Lernszenarien

Am Anfang eines Lernszenarios steht die Planung möglicher Szenen, in denen sich Lernende später orientieren können. Bevor dies geschieht, müssen geeignete inhaltliche Bezüge ausgewählt werden, die in den 360°-Videos thematisiert werden sollen. Nach der Auswahl müssen geeignete Orte gefunden werden, an denen die Inhalte vermittelt werden können.

Wenn diese Orte gefunden sind, wird die erste Version des Lernszenarios auf einem Storyboard festgehalten, auf dem ebenfalls die Verbindungen der verschiedenen Szenen festgehalten werden (siehe Abbildung; Auschnitt als Beispiel für die Rückkehr des Wolfes). Hier ist es auch möglich zu überlegen, ob an bestimmten Stellen Zusatzinformationen oder Quizfragen angezeigt werden sollen.

Ausschnitt aus einem Storyboard zum Thema der Rückkehr des Wolfes.

Umsetzung der Lernszenarien

Wenn die Planung fertig ist, werden die einzelnen 360°-Aufnahmen erstellt. Hierzu werden im Projekt 360°-Kameras verwendet, wobei je nach den örtlichen Gegebenheiten und Anforderungen an das Material entweder eine Insta360 One R oder eine Insta360 Pro 2 zum Einsatz kommen. Diese werden über das Projekt Virtuelle Lernwelten bereitgestellt und stehen auch für andere Interessierte zum Ausleihen bereit.

Ausgehend von den 360°-Aufnahmen wird dann mittels der Software Unity ein Programm erstellt, welches auf der Oculus Quest lauffähig ist. Innerhalb des Programms kann dann mittels sog. Hotspots zwischen den 360°-Videos eine freie Orientierung durch die Nutzenden stattfinden.

Erste Testversionen zur Pilotierung sollen ab Sommer 2021 vorhanden sein und werden dann hier präsentiert. Anschließend werden die fertigen Lernszenarien auf geeigneten Kanälen für die Weiternutzung bereitgestellt (ca. Herbst 2022).

Anwendung im Unterricht

Diese Informationen für Lehrerinnen und Lehrer beziehen sich zum einen auf die von uns anvisierten didaktischen Grundlagen für den Einsatz von immersiven Lernszenarien im Unterricht, zum anderen auf die praktische Mitarbeit im Projekt, wenn Sie als Lehrerin oder Lehrer also immersive Materialien in Ihrem Biologieunterricht einsetzen oder mitgestalten möchten.

Wir stellen hier die theoretische Grundlagen für Begriffe voraus, die in den weiteren Erläuterungen verwendet werden. Alle Literaturangaben sind unter Literatur zu finden.

  • Immersion und Präsenz

    Immersion beschreibt den Grad an technischen Ausstattungen, die ein Gerät bietet, um dem Nutzenden ein Gefühl von Realität zu vermitteln (Cummings & Bailenson, 2016). Hierfür ist vor allem das genaue Tracking der Bewegungen in der virtuellen Umgebung wichtig.

    Wenn Menschen sich in Umgebungen mit einem hohen Maß an Immersion bewegen, kann das Gefühl der Präsenz eintreten. Präsenz beschreibt das Gefühl, sich wirklich in einer bestimmten Umgebung zu befinden, ist also die psychologische Seite der Immersion (Cummings & Bailenson, 2016). Die Lernszenarios zielen also auf ein hohes Maß an Immersion ab, damit Lernende den Eindruck bekommen wirklich vor Ort zu sein.

  • Transformatives Lernen

    Das Konzept des transformativen Lernens stammt ursprünglich von John Mezirow, der die Reintegration nach längeren Abwesenheitszeiten in das Arbeitsleben begleitet und die zugrundeliegende Lernprozesse untersucht hat (Kitchenham, 2008). Dabei konnte Mezirow herausstellen, dass tiefgehende persönliche Transformationen häufig durch ein desorientierendes Dilemma ausgelöst werden, welches zur einer grundlegenden Reflexion der eigenen Rolle führt. Durch die neue (alte) Umgebung wird dann das Einüben neuer Rollen nötig, welche zuerst testweise ausprobiert und später tiefer in das Selbst integriert werden (Kitchenham, 2008).

    In Bezug auf die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung kann transformatives Lernen geeignet sein, um den Status quo zu hinterfragen und tiefgehende holistische Lernprozesse anzustoßen (Sipos et al., 2008).

  • Übelgefühle in virtuellen Realitäten

    Durch die hohe Immersion von VR-Brillen, bei der das Sichfeld der Nutzenden komplett ausgeblendet wird, können durch bestimmte Reize Gefühle von Übelkeit ausgelöst werden (engl. „simulator sickness“). Diese Gefühle entstehen meist dann, wenn die Reize der Augen nicht mit den Reizen des übrigen Körpers übereinstimmen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn in der VR Bewegungen innerhalb eines Raumes stattfinden, aber der Körper des Nutzenden diese Bewegungen nicht wirklich ausführt. Die Dissonanz der körperlichen Empfindungen sorgt dabei für Unwohlsein, welches meist nach kurzer Zeit wieder vergeht.

    Während manche Menschen anfälliger für diese Gefühle sind als andere, werden im Projekt strenge Richtlinien eingehalten, um Übelgefühle möglichst auszuschließen. Die erste Maßnahme ist dabei die geeignete Hardware. So konnten Studien zeigen, dass durch den Einsatz qualitativ hochwertiger Brillen wie der Oculus Quest in geringerem Maße Übergefühle auftreten wie bei weniger immersiven Geräten (Rupp et al., 2019). Zudem werden verschiedene Maßnahmen wie die Limitierung der Zeit in der VR auf 20 Minuten befolgt, um möglichen negativen Folgen entgegenzuwirken.

Didaktische Grundlagen und Wirksamkeit

Während einige explorative Untersuchungen über den Einsatz von VR in Bildungsangeboten bestehen, gibt es bisher nur wenige praxiserprobte Konzepte (Hellriegel & Čubela, 2018). Generell reicht es dabei nicht aus, einfach VR-Brillen anzuschaffen und diese Lernenden aufzusetzen, sondern diese müssen passend in den Unterrichtsverlauf eingebaut werden. Hierbei sind verschiedene Einsatzmöglichkeiten denkbar.

Zum einen wäre es möglich, immersive Materialien mittels VR-Brillen am Anfang einer Unterrichtseinheit bzw. bei Beginn eines neuen Themas einzusetzen. Hierdurch könnten die Materialien einen ersten Zugang zum Thema erlauben. Eine weitere Einsatzmöglichkeit wäre der Einsatz am Ende einer Einheit oder Stunde, was dann zu einer Anwendung oder Vertiefung der zuvor theoretisch gelernten Inhalte geeignet sein könnte. Natürlich sind alle zwischen diesen Extremen befindlichen Einsätze ebenfalls denkbar.

Auch wenn viele Funktionen möglich sind, ist es auch nicht klar, in welcher Sozialform VR eingesetzt werden kann. Hierbei sind ebenfalls verschiedene Möglichkeiten denkbar. So könnten Lernende in Einzelarbeit mit virtuellen Umgebungen interagieren, diese Interaktion könnte jedoch ebenfalls von einer Partnerin/einem Partner außerhalb der VR unterstützt werden. Diese/r könnte beispielsweise geeignete Informationen geben, die für die Bearbeitung des immersiven Lernszenarios nötig sein könnten. Darüber hinaus könnte auch beliebige Anzahlen von Lernenden gleichzeitig in eine Lernumgebung geschickt werden, was eine nachträgliche Reflexion der Erlebnisse im Plenum ermöglichen würde. Doch neben den fehlenden didaktischen Grundlagen gibt es dabei zwei Hauptprobleme für den praktischen Einsatz: Fehlende Materialien sowie fehlenden technische Ausstattungen und Geräte.

Bezüglich der Materialien ist es schon jetzt möglich bestehende Angebote zu adaptieren. Möglich erscheint hierbei zum einen der Einsatz von Programmen wie Google Expeditions oder 360°-Videos der Plattform YouTube. So kann man über die Videosuche bei YouTube auswählen, dass nur 360°-Videomaterial angezeigt werden soll. Zwei 360°-Videos von Wölfen in ihrem Habitat wurden dabei bereits erfolgreich in einer ersten explorativen Studie angewendet, wobei eine höhere Präsenz sowie ein höheres Interesse an den Inhalten festgestellt werden konnte (Filter et al., 2020).

Für den Einsatz sind dabei dennoch bestimmte Geräte sowie weitere technische Ausstattungen wie WLAN nötig. Hierbei kann zwischen einfachen Lösungen und eher teuren Geräten mit eingebauten Displays (VR-Brillen, engl. „head-mounted display“) unterschieden werden (Hellriegel & Čubela, 2018). Die günstigen Lösung stellt bspw. Google Cardboard oder ähnliche Halterungen dar, in die eigene Geräte von Lehrenden oder Lernenden eingesetzt werden können (engl. „bring your own device“). Diese sind zwar in der Anschaffung günstiger, jedoch muss vor dem Einsatz die passende Software installiert und eine ausreichende Ladung sowie Kompatibilität sichergestellt werden. Zudem können günstige Geräte zu stärkeren Gefühlen von Übelkeit (engl. „simulator sickness“) führen (Rupp et al., 2019). Hier sind die teuren Lösungen wie VR-Brillen klar im Vorteil, wobei hier der Anschaffungspreis das größte Problem darstellt. Während günstige Einstiegsgeräte heute schon ab 450€ zu haben sind, ist in Schulen die generelle Verfügbarkeit von digitalen Geräten noch ein Problem, weshalb die Anschaffung von VR-Brillen noch als Zukunftsmusik erscheint. Das vorliegende Projekt soll dabei Beispiele guter Praxis schaffen und die Technik der VR weiter etablieren, damit aus der Zukunftsmusik eines Tages (echte) Realität werden kann.

Einsatz in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

Im vorliegenden Projekt werden Konzepte für den Einsatz von VR in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erarbeitet. BNE beschreibt dabei eine Bildung, die die Erreichung der Sustainable Development Goals erlaubt (Kremer & Sprenger, 2018). Im Projekt wird dies zum einen durch die inhaltlichen Kontexte erreicht, die sich an den Zielen der nachhaltigen Entwicklung orientieren (Leicht et al., 2018). Zum anderen sind für eine erfolgreiche BNE neben den kognitiven Grundlagen wie Wissen ebenfalls emotionale Zugänge nötig. Diese können in der VR ermöglicht werden, da Lernende eigene Erfahrungen machen können.

Dabei können Erlebnisse in der VR kein Ersatz für echte Erfahrungen beispielsweise an Außerschulischen Lernorten sein. Dennoch können (Natur-)Erlebnisse in der VR bestimmte Funktionen beispielsweise in der Vorbereitung erfüllen, oder praktische Zugänge zu Kontexten erlauben, die sonst nur schwer oder unmöglich zugänglich wären.

Praktische Mitarbeit im Projekt

Für das Projekt ist der praktische Einsatz von VR-Brillen in der Schule vorgesehen. Hierzu werden von uns passende Sätze an VR-Brillen (Oculus Quest) zur Verfügung gestellt, auf welche das jeweilige Lernszenario mittels eines Multi-Device-Managements (MDM) gestartet werden kann. Dies erlaubt die Sicherstellung, dass Lernende sich wirklich mit dem geplanten Inhalt auseinandersetzen.

Für die Erprobung in Schulen werden ab Herbst 2021 Lehrkräfte gesucht, die sich vorstellen können eine Stunde zu den entsprechenden Themen durchzuführen. Wenn Sie als Lehrkraft selber schon Erfahrungen mit VR gemacht haben oder konkrete Ideen für die Umsetzung bestimmter Inhalte haben, zögern Sie nicht uns auch vorher schon anzuschreiben. Hierzu steht Dr. Alexander Büssing gerne zur Verfügung.

Projektbezogene Forschung

Bei der projektbegleitenden Forschung liegt der Schwerpunkt auf den theoretischen Grundlagen für die Verwendung von immersiven Lernszenarien, empirischen Ergebnissen für den Einsatz sowie einen Überblick über die Forschungsfragen, die im Projekt adressiert werden. Alle Literaturangaben sind unter Literatur zu finden.

Theoretische Grundlagen von immersiven Lernszenarien

Theoretische Grundlagen von immersiven Lernszenarien Die Grundlage immersiver Lernszenarien stellt die Nutzung von virtueller Realität (VR) dar. VR beschreibt dabei generell digital geschaffene Umgebungen, die den Eindruck einer Realität vermitteln wollen (Merchant et al., 2014). Grundlegend für dieses Verständnis ist das Kontinuum der Realität und Virtualität, wobei Umgebungen als real, virtuell oder im Zwischenbereich (gemischte Realität) eingeordnet werden können. Im Projekt werden dabei 360°-Videos innerhalb von VR-Brillen verwendet, welche zwar echte Umgebungen abbilden, jedoch virtuell abgespielt werden. Daher bezeichnen wir unsere Anwendung als VR.

Kontinuum der Realität und Virtualität (verändert nach Milgram et al., 1994, S. 283).

Verschiedene Studien konnten dabei aufzeigen, dass VR sinnvoll für Bildungsangebote eingesetzt werden kann (Jensen & Konradsen, 2018). So ist es beispielsweise möglich, durch VR Naturerfahrungen zu ermöglichen, welche sonst nur schwer in den schulischen Biologieunterricht zu integrieren sind (Filter et al., 2020). Hierbei bieten VR-Brillen (engl. „head-mounted displays“) ein großes Maß an Immersion, was sich positiv auf den Lernerfolg auswirken kann (Markowitz et al., 2018).

Entgegen der beschriebenen positiven Effekten von VR, sind die zugrundeliegenden Mechanismen bisher nur schlecht verstanden. So gibt es Studien, die aufzeigen wie Lernende zwar eine höhere Präsenz empfinden, diese jedoch nur zu einer höheren Motivation aber nicht einem höheren Lernerfolg führt (Makransky et al., 2019). Es ist daher davon auszugehen, dass es bestimmte Kontexte oder Themen gibt, in denen sich immersive Lernszenarien positiv auswirken, während dies in anderen Kontexten nicht der Fall ist.

Forschungsfragen des Projekts

Um die zugrundeliegenden Effekte für den Einsatz von VR im Unterricht besser zu verstehen, werden im Projekt insgesamt drei verschiedene Forschungsfragen adressiert. Die erste Forschungsfrage bezieht sich dabei auf den Einfluss der einzelnen Kontexte in einer langfristigen Perspektive.

In diesem ersten Schritt sollen daher alle drei entwickelten immersiven Lernszenarien von den gleichen Studierenden des Faches Biologie im Rahmen ihrer Lehramtsausbildung durchlaufen werden. Hierdurch können erste Rückschlüsse darauf gezogen werden, inwiefern die Lernszenarien geeignet sind um die Professionalisierung der Studierende zu unterstützen. Hierbei sollen sowohl kognitive als auch affektive Variablen betrachtet werden.

Erste Ergebnisse werden ab Frühjahr 2022 erwartet, die dann auf dieser Seite und in geeigneten Publikationsorganen präsentiert werden. Im weiteren Verlauf des Projektes werden dann auch die übrigen Forschungsfragen des Projektes dargestellt.

Literatur

Die Literaturangaben für die jeweiligen Themenbereiche orientieren sich an der Struktur der Inhalte. Wählen Sie bitte das entsprechende Drop-Down-Menü an. Sollten Sie Literaturangaben vermissen, melden Sie sich bitte bei Dr. Alexander Büssing.

  • Die Rückkehr des Wolfes
    • Ansorge, H., Holzapfel, M., Kluth, G., Reinhardt, I., & Wagner, C. (2010). Die Rückkehr der Wölfe. Das erste Jahrzehnt. Biologie in Unserer Zeit, 40(4), 244–253. doi.org/10.1002/biuz.201010425
    • Büssing, A. G., Jannink, N., Scholz, G., & Halbe, J. (2019). An adapted concept mapping technique to help conservation implementation – Exemplified for wolves returning to Lower Saxony in Germany. Global Ecology and Conservation, 20, e00784. doi.org/10.1016/j.gecco.2019.e00784
    • Hermann, N., & Menzel, S. (2013). Threat Perception and Attitudes of Adolescents Towards Re-Introduced Wild Animals: A qualitative study of young learners from affected regions in Germany. International Journal of Science Education, 35(18), 3062–3094. doi.org/10.1080/09500693.2012.685196
    • Ripple, W. J., & Beschta, R. L. (2012). Trophic cascades in Yellowstone: The first 15years after wolf reintroduction. Biological Conservation, 145(1), 205–213. doi.org/10.1016/j.biocon.2011.11.005
    • Tanner, E., White, A., Acevedo, P., Balseiro, A., Marcos, J., & Gortázar, C. (2019). Wolves contribute to disease control in a multi-host system. Scientific Reports, 9(1), 1–12. doi.org/10.1038/s41598-019-44148-9
  • Klimawandel
    • Büssing, Pril, Beniermann, Bergmann & Kremer (in Begutachtung). Inhaltlicher Diskurs oder Shitstorm? Analyse fachlicher Bezüge in Kommentaren eines YouTube-Videos zum Klimawandel. In: Bush, A. & Birke, J. (Hrsg.): Nachhaltigkeit & Social Media – Chancen und Herausforderungen. Berlin: Springer.
    • Cook, J., Oreskes, N., Doran, P. T., Anderegg, W. R. L., Verheggen, B., Maibach, E. W., … Rice, K. (2016). Consensus on consensus: A synthesis of consensus estimates on human-caused global warming. Environmental Research Letters, 11(4), 1–7. doi.org/10.1088/1748-9326/11/4/048002
    • Intergovernmental Panel on Climate Change. (2014). Climate Change 2014: Synthesis Report. doi.org/10.1177/0002716295541001010
    • Lenton, T. M., Rockström, J., Gaffney, O., Rahmstorf, S., Richardson, K., Steffen, W., & Schellnhuber, H. J. (2019). Climate tipping points — too risky to bet against. Nature, 575(7784), 592–595. doi.org/10.1038/d41586-019-03595-0
    • Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., … DeWit, C. A. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223), 1–10. doi.org/10.1126/science.1259855
  • Nachhaltige Landwirtschaft
    • Bauer, D., Arnold, J., & Kremer, K. (2018). Consumption-Intention Formation in Education for Sustainable Development: An Adapted Model Based on the Theory of Planned Behavior. Sustainability, 10(10), 3455. doi.org/10.3390/su10103455
    • Fiebelkorn, F. (2017). Insekten als Nahrungsmittel der Zukunft: Entomophagie. Biologie in Unserer Zeit, 47(2), 104–110. doi.org/10.1002/biuz.201710617
    • Kremer, K., Durchgraf, L., & Schwanewedel, J. (2018). Ernährt die Erde uns alle? Unterricht über globale Herausforderungen handlungswirksam gestalten. Unterricht Biologie, 42(439), 2–11.
    • Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., … DeWit, C. A. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223), 1–10. doi.org/10.1126/science.1259855
    • Wackernagel, M., Schulz, N. B., Deumling, D., Linares, A. C., Jenkins, M., Kapos, V., … Randers, J. (2002). Tracking the ecological overshoot of the human economy. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 99(14), 9266–9271. doi.org/10.1073/pnas.142033699
  • Transformatives Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    • Kitchenham, A. (2008). The Evolution of John Mezirow’s Transformative Learning Theory. Journal of Transformative Education, 6(2), 104–123. doi.org/10.1177/1541344608322678
    • Kremer, K., & Sprenger, S. (2018). Bildung für eine nachhaltige Entwicklung: Unterricht zu den zukunftsrelevanten und globalen Herausforderungen gestalten. In A. Beutelspacher, C. Kahlen, K. Kremer, & S. Sprenger (Hrsg.), Ich sehe Wasser, was du nicht siehst Bildung für nachhaltige Entwicklung am Beispiel virtuellen Wassers (pp. 6–11). Hannover: Friedrich-Verlag.
    • Leicht, A., Heiss, J., & Byun, W. J. (2018). Issues and trends in Education for Sustainable Development. Retrieved from unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000261445
    • Sipos, Y., Battisti, B., & Grimm, K. (2008). Achieving transformative sustainability learning: Engaging head, hands and heart. International Journal of Sustainability in Higher Education, 9(1), 68–86. doi.org/10.1108/14676370810842193
  • Virtual Reality
    • Cummings, J. J., & Bailenson, J. N. (2016). How Immersive Is Enough? A Meta-Analysis of the Effect of Immersive Technology on User Presence. Media Psychology, 19(2), 272–309. doi.org/10.1080/15213269.2015.1015740
    • Filter, E., Eckes, A., Fiebelkorn, F., & Büssing, A. G. (2020). Virtual Reality Nature Experiences Involving Wolves on YouTube: Presence, Emotions, and Attitudes in Immersive and Nonimmersive Settings. Sustainability, 12(3823), 1–22. doi.org/10.3390/su12093823
    • Hellriegel, J., & Čubela, D. (2018). Das Potenzial von Virtual Reality für den schulischen Unterricht-Eine konstruktivistische Sicht. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 58-80. doi.org/10.21240/mpaed/00/2018.12.11.X
    • Jensen, L., & Konradsen, F. (2018). A review of the use of virtual reality head-mounted displays in education and training. Education and Information Technologies, 23(4), 1515–1529. doi.org/10.1007/s10639-017-9676-0
    • Makransky, G., Terkildsen, T. S., & Mayer, R. E. (2019). Adding immersive virtual reality to a science lab simulation causes more presence but less learning. Learning and Instruction, 60(4), 225–236. doi.org/10.1016/j.learninstruc.2017.12.007
    • Markowitz, D. M., Laha, R., Perone, B. P., Pea, R. D., & Bailenson, J. N. (2018). Immersive Virtual Reality Field Trips Facilitate Learning About Climate Change. Frontiers in Psychology, 9(2364), 1–20. doi.org/10.3389/fpsyg.2018.02364
    • Merchant, Z., Goetz, E. T., Cifuentes, L., Keeney-Kennicutt, W., & Davis, T. J. (2014). Effectiveness of virtual reality-based instruction on students’ learning outcomes in K-12 and higher education: A meta-analysis. Computers & Education, 70, 29–40. doi.org/10.1016/j.compedu.2013.07.033
    • Milgram, P., Takemura, H., Utsumi, A., & Kishino, F. (1994). Augmented reality: A class of displays on the reality-virtuality continuum. SPIE 2351, Telemanipulator and Telepresence Technologies, 1(Telemanipulator and Telepresence Technologies), 282–292.
    • Rupp, M. A., Odette, K. L., Kozachuk, J., Michaelis, J. R., Smither, J. A., & McConnell, D. S. (2019). Investigating learning outcomes and subjective experiences in 360-degree videos. Computers & Education, 128, 256–268. doi.org/10.1016/j.compedu.2018.09.015